Neues zum betrieblichen Eingliederungsmanagement

In den letzten Wochen und Monaten hat es im Zusammenhang mit dem bEM einige Neuerungen in Gesetz und Rechtsprechung gegeben. Wir fassen die wichtigsten Entwicklungen zusammen.  

  1. Bereits seit Juni 2021 haben Mitarbeiter die Möglichkeit, zum bEM eine Person ihres Vertrauens hinzuzuziehen (§167 Absatz 2 Satz 2 SGB IX). Herumgesprochen hat sich das noch nicht, und viele Formulare, die im Zusammenhang mit dem bEM verwendet werden, sind noch nicht aktualisiert.

Das wird gravierende Folgen haben, wenn im Anschluss an ein bEM eine personenbedingte Kündigung ausgesprochen wird. Der Arbeitgeber muss damit rechnen, dass die Arbeitsgerichte das bEM insgesamt als nicht formgerecht durchgeführt verwerfen und der Klage gegen die Kündigung dann stattgegeben wird, weil der Arbeitgeber nicht beweisen kann, dass es bei korrekter Durchführung auch erfolglos verlaufen wäre.

Noch wenig durchleuchtet sind Fragen, die sich im Zusammenhang mit der gesetzlichen Neuregelung stellen:

Wer darf als Vertrauensperson hinzugezogen werden?
Da gibt es keine Beschränkungen. Es kommen sowohl interne als auch externe Personen in Betracht.

Wenn der Arbeitnehmer eine interne Person benennt, ist dessen Gehalt weiterzuzahlen?
Das Gesetz klärt diese Frage nicht. Wir meinen: Nein. Die Teilnahme am bEM ist freiwillig und keine Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsverhältnisses (keine Arbeitsleistung). Eine andere Frage ist es, ob man als Arbeitgeber nicht freiwillig das Gehalt weiterzahlt, um das bEM zu fördern. Immerhin hat die Einsetzung einer internen Person auch unbestreitbare Vorteile (Kenntnisse über betriebliche Abläufe, weniger Emotionen als Freunde oder Familienangehörige, keine Anwälte).

Wer zahlt die Kosten einer externen Vertrauensperson?
Auch dazu sagt das Gesetz nichts. Wir meinen: Der Arbeitnehmer. Es sei denn, es wird etwas anderes vereinbart.

Was gibt es sonst für Arbeitgeber zu beachten?
Neben der Anpassung des Formularwesens sind gegebenenfalls vorhandene Betriebsvereinbarungen zu überarbeiten. Auch kann es Sinn machen, eine Verschwiegenheitserklärung vorzubereiten, die von der Vertrauensperson abzugeben ist. Das hängt davon ab, ob im Rahmen des bEM Sachverhalte (Betriebsinterna) diskutiert werden, an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber ein Interesse hat.

  1. Das Landesarbeitsgericht Hessen hatte noch in 2017 entschieden (Urteil vom 17.02.2017 – Az. 14 Sa 690/16), dass – vereinfacht gesprochen – die Durchführung eines bEM erst wiederholt werden muss, wenn nach Abschluss des letzten bEM ein Jahr verstrichen ist und in dieser Zeit erneut Fehlzeiten von sechs Wochen aufgetreten sind. Das sieht das Bundesarbeitsgericht nun dezidiert anders (Urteil vom 18. November 2021 – Az. 2 AZR 138/21): Ist ein bEM beendet und treten dann im Umfang von mehr als Wochen erneute Fehlzeiten auf oder dauern sie an, ist der Arbeitgeber verpflichtet, auch dann ein neues bEM durchzuführen, wenn noch kein Jahr verstrichen ist. Unterlässt er das, hat er das Risiko zu tragen, im Prozess nicht belegen zu können, dass das bEM nicht erfolgreich verlaufen wäre.

Das heißt für Arbeitgeber übersetzt: Soll ein langzeiterkrankter Arbeitnehmer gekündigt werden, muss dies innerhalb von sechs Wochen nach Abschluss eines bEM geschehen, sonst ist erst wieder ein neues bEM zwischenzuschalten.

  1. Immerhin ergibt sich aus diesem Urteil des BAG auch ein Lichtblick für die Fälle, in denen der Arbeitgeber das bEM nicht unterlassen hat, sondern ihm bei der Durchführung nur formale Fehler unterlaufen sind (wie z.B. oben im Fall Ziffer 1). Es heißt dazu in dem Urteil:

„Hat der Arbeitgeber nicht gänzlich davon abgesehen, ein bEM anzubieten, sind ihm dabei oder bei der weiteren Durchführung aber Fehler unterlaufen, ist für den Umfang seiner Darlegungslast von Bedeutung, ob der Fehler Einfluss auf die Möglichkeit hatte oder hätte haben können, Maßnahmen zu identifizieren, die zu einer relevanten Reduktion der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers hätten führen können.

Das kann der Fall sein, wenn dieser gerade aufgrund der verfahrensfehlerhaften Behandlung durch den Arbeitgeber einer (weiteren) Durchführung des bEM nicht zugestimmt hat …

Anderenfalls spricht der Umstand, dass ein Arbeitnehmer nicht zu seiner (weiteren) Durchführung bereit ist, grundsätzlich dagegen, dass durch ein bEM mildere Mittel als die Kündigung hätten identifiziert werden können.“

Das kann in (wohl eher seltenen Fällen) helfen, ein formfehlerbehaftetes bEM zu retten.

  1. Schließlich hatte sich das BAG jüngst mit der Frage zu befassen, ob ein Arbeitnehmer einen einklagbaren Anspruch auf Durchführung eines bEM hat. Also insbesondere für den Fall, dass der Arbeitgeber es einfach nicht macht. Das BAG hat die Frage verneint (Urteil vom 7. September 2021 – 9 AZR 571/20). Der Arbeitnehmer sei hinreichend durch die Beweiserleichterungen geschützt, die im Falle einer personenbedingten Kündigung im Prozess zu seinen Gunsten gelten würden.

Walther Grundstein
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht