Das Landgericht Kaiserslautern hat mit Urteil vom 13.04.2021 (Az. 4 O 284/20) entschieden, dass ein Miet- oder Pachtvertrag außerordentlich gekündigt werden kann, wenn dem Mieter/Pächter kraft staatlicher Anordnung der vertragsgemäße Gebrauch des Mietobjektes coronabedingt unmöglich wird. Gestützt wird dies auf §543 BGB, der die Kündigung zulässt, wenn der vertragsgemäße Gebrauch entzogen wird. Im konkreten Fall ging es um den Betrieb einer Gaststätte.
Wir zitieren aus den Entscheidungsgründen:
„Nach § 543 Abs. 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Beispiele für wichtige Gründe sind in § 543 Abs. 2 BGB aufgezählt, bei deren Vorliegen die Interessensabwägung nach § 543 Abs. 1 S. 2 BGB entfällt … Nach §543 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt ein wichtiger Grund insbesondere vor, wenn dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird.
3. Maßstab dafür ist allein der dem Mieter auf Grund des Mietvertrags und der Verkehrsanschauung zustehende Gebrauch. Jedes Zurückbleiben der Leistung des Vermieters hinter diesen Standard rechtfertigt eine Kündigung, wenn auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 3 BGB vorliegen, kein Ausschlussgrund nach § 543 Abs. 4 S. 1 BGB gegeben ist (…) und die Gebrauchsbehinderung nicht unerheblich ist (…). Ein Verschulden (§§ 276, 278 BGB) des Vermieters ist nicht erforderlich. Ebenso wenig kommt es auf die Behebbarkeit des Mangels an. Die Anwendbarkeit des § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu Gunsten des Mieters ist nämlich allein schon durch die Verletzung der dem Vermieter obliegenden Pflicht gerechtfertigt, der dem Mieter die vertragsgemäß geschuldete Mietsache nicht überlässt (…).
4. …
5. Die außerordentliche Kündigung ist jedoch gemäß §§ 581 Abs. 2, 543 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BGB durch die pandemiebedingte Untersagung des Gaststättenbetriebs gerechtfertigt. Außer reinen Beschaffenheitsfehlern der Mietsache können auch behördliche Gebrauchshindernisse und -beschränkungen ihre Tauglichkeit zu dem vertragsgemäßen Gebrauch in einer Weise aufheben, dass sie einen Mangel begründen (…). Ein Mangel liegt aber nur dann vor, wenn der Mieter durch die öffentlich-rechtliche Beschränkung in seinem vertragsgemäßen Gebrauch auch tatsächlich eingeschränkt wird (…). Diese Voraussetzung ist regelmäßig nur dann erfüllt, wenn die zuständige Behörde die Nutzung des Mietobjekts durch ein rechtswirksames und unanfechtbares Verbot bereits untersagt hat (…). Auch kann ein möglicher Sachmangel im Einzelfall darin gesehen werden, dass eine lang währende Unsicherheit über die Zulässigkeit behördlichen Nutzungsuntersagung die begründete Besorgnis bewirkt, das Grundstück nicht zum vertragsgemäßen Gebrauch nutzen zu können (…). Diese Besorgnis lag im April 2020 vor. Jedenfalls zum Teil war der vertragsgemäße Gebrauch aufgehoben, was nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB genügt.
6. Im vorliegenden Fall wurde das Objekt gemäß § 1 des Pachtvertrags als „Gaststätte“ verpachtet, wozu insbesondere ein „Gastraum (…) nebst sämtlichem zum Betrieb der Gaststätte erforderlichem, gebrauchsfähigem Inventar“ gehörte. Gemäß § 10 des Pachtvertrags war die Pächterin gehalten, die Pachtsache zu dem in § 1 genannten Zweck zu nutzen und war nicht befugt, den Charakter der Pachtsache zu verändern. Danach liegt ein Pachtmangel vor, soweit durch die behördlichen Maßnahmen dieser vertraglich vorgesehene Betrieb der Gaststätte aufgehoben war.
7. Zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums, d.h. am 01.05.2020, ordnete § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 der 4. Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz (CoBeLVO) die Schließung von „Restaurants, Speisegaststätten“ (…) „Kneipen und ähnliche[n] Einrichtungen“ an. Eine entsprechende Regelung fand sich in der 5. CoBeLVO, die bis einschließlich 12.05.2020 in Kraft war. Erst ab dem 13.05.2020 unter der 6. CoBeLVO durften Gaststätten wieder öffnen, allerdings unter strengen Hygieneauflagen. So sah etwa § 2 Abs. 2 Nr. 4 der 6. CoBeLVO folgendes vor:
Im Innen- und Außenbereich ist der Mindestabstand zwischen den Stühlen von einem Tisch zu den Stühlen des nächsten Tischs von mindestens 1,5 Metern stets zu gewährleisten. Der Bar- und Thekenbereich ist für den Verbleib von Gästen geschlossen.
Erst ab dem 15.07.2020 war der Thekenbetrieb für Gäste wieder erlaubt, jedoch nur mit Maske (Art. 1 Ziff. 2 der Zweiten Landesverordnung zur Änderung der 10. CoBeLVO vom 14. Juli 2020). Neben der Maskenpflicht blieben die Pflicht zur Kontakterfassung, das Abstandsgebot und die Begrenzung der Öffnungszeiten auf den Zeitraum 06:00 bis 24:00 Uhr gemäß § 7 Abs. 2 und 3 der 10. CoBeLVO bestehen.
Seit dem 02.11.2020 sind Gaststätten wieder geschlossen (vgl. § 7 Abs. 1 der 12. CoBeLVO vom 30.10.2020 sowie der 16. CoBeLVO vom 26.02.2021) und es ist bis heute nicht absehbar, wann sich dies ändert. Obschon Abhol-, Liefer- und Bringdienste sowie der Straßenverkauf (ohne Alkoholausschank) und Ab-Hof-Verkauf erlaubt sind, war und ist die Tauglichkeit der Pachtsache zum vertragsgemäßen Gebrauch (§ 536 Abs. 1 BGB) jedenfalls teilweise aufgehoben. Hieran ändert auch nichts die – unterstellte – Möglichkeit der Inanspruchnahme staatlicher Coronahilfen, welche die coronabedingten Einschränkungen des vertragsgemäßen Gebrauchs der Gaststätte nicht beseitigt, sondern allenfalls finanziell kompensiert. Der Zweck dieser Coronahilfen besteht in der Unterstützung des Unternehmers und würde konterkariert, wenn die Coronahilfen als Rechtfertigung zur Beschneidung der Rechte des Unternehmers gegenüber seinen Vertragspartnern (hier: Verpächterin) herangezogen werden könnten.
8. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung ist nicht durch § 12 des Pachtvertrags ausgeschlossen, wonach die Pächterin für die Einholung eventuell erforderlicher behördlicher Genehmigungen, insbesondere der Genehmigung für den Betrieb des Gewerbes verantwortlich ist. Denn die verbindlichen Regelungen der jeweiligen CoBeLVO konnten nicht durch Einholung einer Genehmigung umgangen werden.
9. Eine Frist oder Abmahnung hätte offensichtlich keinen Erfolg versprochen (§ 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BGB), denn die verbindlichen Regelungen der CoBeLVO standen nicht zur Disposition der Klägerin. Die in § 543 Abs. 4 BGB genannten Ausschlusstatbestände sind nicht einschlägig. Das Kündigungsrecht wird auch nicht durch Art. 240 § 7 EGBGB ausgeschlossen, wonach durch Coronabekämpfungsmaßnahmen eine Störung der Geschäftsgrundlage von Gewerberaummietverhältnissen begründet wird. Die Rechtsinstitute der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) und der außerordentlichen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund (§ 543 BGB) haben jeweils eigene Voraussetzungen und schließen sich nicht gegenseitig aus.“
Unserer Einschätzung handelt es sich hier um eine Einzelfallentscheidung. Sie ist auf andere Fälle deswegen nicht unbesehen übertragbar. Sie ist auch noch nicht rechtskräftig. Wir wagen die Prognose, dass das Oberlandesgericht das Urteil ändern wird.
Walther Grundstein,
Rechtsanwalt