Erste Urteile der Oberlandesgerichte zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Zeiten der Corona Pandemie

Die Frage nach der Berechtigung zur Herab-setzung der Miete auf Grund von staatlich bedingten Nutzungsbeeinträchtigungen des Gewerberaums ist noch immer ein Dauerbrenner. Sie beschäftigt zahlreiche Gerichte. Bislang hat es jedoch nur erstinstanzliche Entscheidungen gegeben. Mittlerweile sind Entscheidungen dreier Oberlandesgerichte zu diesem Thema bekannt geworden.

I.
Zusammenfassung

Das OLG München und auch das OLG Karlsruhe bestätigen die erstinstanzliche Rechtsprechung. Die staatlich bedingten Nutzungsbeeinträchtigungen stellen keinen Mietmangel dar. Auch kommt eine Herabsetzung der Miete nur in Ausnahmefällen in Betracht. Ein pauschaler Anspruch aller Mieter auf Herabsetzung der Miete im Falle staatlich bedingten Nutzungsbeeinträchtigungen wird klar verneint. Es ist auch nach diesen Entscheidungen stets eine Einzelfallprüfung notwendig, wobei zahlreiche Punkte zu berücksichtigen sind.

Anders sieht dies allerdings das OLG Dresden. Aus Sicht des OLG Dresden ist in dem zu entscheidenden Fall eine Herabsetzung der Miete um 50 % angezeigt gewesen, da keine Vertragspartei die Ursache für die Störung der Geschäftsgrundlage zu verantworten und auch nicht vorhergesehen habe.

II.
Im Einzelnen

Die nachfolgend dargestellten Entscheidungen beziehen sich allesamt auf den ersten „Lock-down“ zum Anfang des Kalenderjahres 2020. Auch lagen den Entscheidungen nur Fragen aus dem Bereich des Gewerberaummietrechts zugrunde. Selbstverständlich ergingen die Entscheidungen unter Berücksichtigung der im jeweiligen Bundesland zum streitigen Zeitpunkt geltenden Verordnungen/Allgemeinverfügungen.

1. OLG München, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 32 U 6358/20 (vorgehend LG München II, 13 O 2044/20)

Die Vermieterin begehrt in diesem Verfahren von der Mieterin, die ein Einzelhandelsge-schäft zum Verkauf von Textilien in den Gewerberäumen betreibt, die Mietzahlung.

Das OLG München hat auf Folgendes in diesem Beschluss hingewiesen:

• „Die pandemiebedingte Betriebsuntersagung in dem Zeitraum vom 18. März 2020 bis zum 27. April 2020 hat nicht zu einem Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 BGB geführt.“

Denn das Gebrauchshindernis beruhe nicht auf der konkreten Beschaffenheit des Mietobjektes. Die Untersagungsanordnung führe vielmehr zu einem be-hördlichen Gebrauchshindernis. Dies sei kein Mietmangel.

• „Ein Anspruch nach § 313 Abs. 1 BGB auf Anpassung des Mietvertrages durch eine Herabsetzung oder Stundung der Miete ist […] möglich. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu beachten.“

Nach Ansicht des OLG muss für jeden Vertrag und für jede konkrete Situation gesondert geklärt werden, ob eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt.

Ist die Störung nur vorübergehend, ist auf die voraussichtliche Dauer abzustellen. Neben einer schwerwiegenden Änderung muss eine Unzumutbarkeit bzgl. des Festhaltens am Vertrag gegeben sein. Die Betriebsuntersagung ist aus Sicht des OLG eine schwerwiegende Änderung i.S.v. § 313 BGB. Auch ist die Schließung von fünf Wochen schwerwiegend; demgegenüber soll ei-ne Betriebsuntersagung von wenigen Tagen nicht schwerwiegend sein. Mieter haben zudem (so das OLG) Betriebsferien von zwei Wochen einzukalkulieren; das durch die Betriebsuntersagung er-zwungene Datum der Betriebsferien ist hinzunehmen.

Die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag ist vom Einzelfall abhängig. Als Kriterien nannte das Gericht unter anderem:
o das Festhalten an den vertraglichen Regelungen muss zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führen
o eine umfassende Interes-senabwägung und Würdigung aller Umstände ist vorzunehmen
o die Vorteile des Mieters sind zu berücksichtigen (staatliche Hilfspakete etc.)
o die Anwendung von § 313 BGB ist auf Ausnahmefälle zu beschränken
o die Herabsetzung nach objektivem Schema ist nicht möglich (sie wäre sonst letztlich eine Mietminderung)
o es bedarf der Betrachtung der wirtschaftlichen Situation beider Parteien
o auch kann die Dauer des Bestehens des Mietver-trags, der Umsatz und Ge-winn der letzten Jahre, die Möglichkeit zur Rücklagen-bildung etc. zu berücksichtigen sein.
o bei Konzernen kann sogar die Situation der Konzernmutter zu berücksichtigen sein

Ebenso führe die Unzumutbarkeit nicht zwingend zu einer Herabsetzung der Miete. Auch könne der Anspruch auf eine Stundung der Miete gerichtet sein. Wann dies der Fall seien soll, teilte das Gericht nicht mit.

Das OLG hat damit die Linie der bereits bekannten erstinstanzlichen Rechtsprechung im Wesentlichen bestätigt. Mieter werden auch weiterhin für eine Herabsetzung der Miete kämpfen müssen, bei einem mehr als unsiche-ren Prozessausgang.

2. OLG Karlsruhe, Urteil vom 24. Februar 2021 – 7 U 109/20

Die Vermieterin begehrt auch in diesem Fall die Mietzahlung von der Mieterin. Die Mieterin betreibt die Filiale eines Marktes in den Gewerbe-räumen.

• „Die coronabedingte Schließungsanordnung eines Geschäfts begründet weder einen Sachmangel der Mietsache noch eine Unmöglichkeit der Leistungserbrin-gung des Vermieters.“

Das OLG kommt damit bzgl. der Frage eines Mietmangels zu dem gleichen Ergebnis wie das OLG München. Ein Mietmangel ist nicht gegeben.

• „Die Annahme der Unzumutbarkeit der Mietzahlung im Rahmen von § 313 BGB setzt eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls voraus, bei der der Rückgang der Umsätze, mögliche Kompensation durch online-Handel, öffentliche Leistun-gen, ersparte Aufwendungen, z.B. durch Kurzarbeit oder Vermögenswerte durch nicht verkaufte und noch verkaufbare Ware zu berücksichtigen sind.“

Auch das OLG Karlsruhe nennt Kriterien für die Prüfung der Zumutbarkeit:

o Umfang der Umsatzrückgänge
o öffentliche oder sonstige Zuschüsse zugunsten des Mieters
o ersparte Aufwendungen (Kurzarbeitergeld oder weggefallener Wareneinkauf).
o Umstände des Einzelfalls
o keine Überkompensation
o die Interessen beider Par-teien sind zu berücksichtigen
o keine schematische Rege-lung möglich

Auch das OLG Karlsruhe bestätigt somit die Linie der bereits bekannten erstinstanzlichen Rechtsprechung. Zwar ist die Revision ausdrücklich zugelassen. Es steht aber zu befürchten, dass der BGH keine Verbesserung zuguns-ten der Mieter herbeiführen wird.

3. OLG Dresden, Urteil vom 24. Februar 2021 – 5 U 1782/20

Zu dieser Entscheidung ist (bislang) nur die Pressemitteilung veröffentlicht. Das OLG hat entschieden, dass der Mieter (Textileinzelhandel) auf Grund der staatlichen Schließungsanordnung nur zur Zahlung einer reduzierten Miete für das Ladenlokal verpflichtet sei. Die Reduzierung wurde auf 50 % festgesetzt. Da keine der Vertragsparteien mit einer Pandemie habe rechnen können sei eine hälftige Risikotragung angemessen.

Auch in diesem Verfahren ist die Revision ausdrücklich zugelassen. Da diese Entscheidung vollständig anders ausfällt als die zuerst dargestellten, kann die Entscheidung des BGH nur mit Spannung erwartet werden. Wir wagen aber die Prognose, dass der BGH die Entscheidung aufheben wird.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit gern zur Verfügung.

Lars Stich
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht