Oft finden sich am Ende eines Vertrages Formulierungen wie „Mündliche Nebenabreden bestehen nicht.“ oder „Mündliche Nebenabreden wurden nicht getroffen.“ In einer nun veröffentlichten Entscheidung (vom 3. März 2021 – XII ZR 92/19 – NZM 2021, 507) hatte der Bundesgerichtshof Gelegenheit, klarzustellen, welche Bedeutung solchen „Vollständigkeitsklauseln“ eigentlich zukommt.
- Mit der Klausel bestätigen die Parteien ihrem Wortlaut zufolge, dass der schriftliche Vertrag abschließend ist und es keine mündlichen Nebenabreden gibt. Wenn das tatsächlich richtig ist, stellen sich keine Probleme. Was aber, wenn der Inhalt der Klausel objektiv unrichtig ist, es also doch eine mündliche Nebenabrede gegeben hat? Kann sich ein Vertragspartner auf diese Nebenabrede berufen oder nicht?
- Nach dem Wortlaut der Klausel nicht: Denn mit der Klausel hat er gerade bestätigt, dass es mündliche Nebenabreden nicht gibt. Dann müsste er sich konsequenterweise an dieser Aussage festhalten lassen.
- Der Bundesgerichtshof geht das nicht mit. Er misst der Klausel ein anderes Verständnis bei.
Um das Gericht zu verstehen, muss man wissen, dass schriftlichen Vertragsurkunden die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit innewohnt. Das meint, dass man erst einmal nur mit dem Vertrag arbeitet. Wer davon abweichende mündliche Abreden behauptet, ist mit diesem Einwand zwar nicht ausgeschlossen, muss aber beweisen, dass es sie gegeben hat und welchen Inhalt sie hatten.
Der Bundesgerichtshof meint nun, dass eine Vollständigkeitsklausel im vorgenannten Sinne nichts anderes bezwecke als diese ohnehin bestehende Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde zu bestätigen.
Mit anderen Worten hat die Klausel nach dem Verständnis des Bundesgerichtshofs insoweit keinen eigenständigen Regelungsgehalt.
- Das Gericht stellt weitergehend klar, dass das auch gilt, wenn die Klausel nicht wie üblich als AGB verwendet, sondern individuell ausgehandelt worden ist.
- Bezwecke die Klausel, so der Bundesgerichtshof weiter, nicht nur die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde zu bestätigen, sondern darüber hinaus die (unwiderlegbare) Vermutung aufzustellen, es habe schon keine mündliche Absprache gegeben, sei das jedenfalls als AGB nicht wirksam.
Deswegen empfiehlt es sich regelmäßig, in einem Prozess nicht in diesem Sinne zu argumentieren. Man zöge sich sonst den Teppich unter den eigenen Füßen weg. Die Klausel entfiele vollständig.
- Wenn der Klausel also nicht die Bestätigung entnommen werden kann, dass es definitiv keine mündliche Nebenabsprachen gab, stellt sich die weitere Frage, ob sich aus ihr zumindest der schlecht formulierte Wille der Parteien entnehmen lässt, solche Absprachen gegenstandslos werden zu lassen.
Auch das verneint der Bundesgerichtshof – aber nur für den Regelfall. Er hält eine Ausnahme unter Umständen für möglich, wenn „der Regelungsgegenstand der vorvertraglichen Absprache im schriftlichen Vertragstext überhaupt nicht behandelt wird und dies nach den besonderen Umständen des Einzelfalls durch den von der vorvertraglichen Zusage begünstigten Vertragspartner nur so verstanden werden kann, dass sich der andere Teil mit Abschluss des Vertrages von dieser Zusage wieder lösen will.“
Das sind sehr strenge Voraussetzungen, die nur selten erfüllt sein werden. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass Vollständigkeitsklauseln eine nur ausgesprochen eingeschränkte Bedeutung haben und oft nicht den Zweck erfüllen, den man sich von ihnen verspricht.
Walther Grundstein
Rechtsanwalt